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Bessere Technologie braucht mehr Rohstoffe – klingt paradox?

In den Wirtschaftswissenschaften gibt es zahlreiche Paradoxa, insbesondere in den Spiel- und Entscheidungstheorien. In diesem Beitrag möchte ich, Berndt Jesenko, Lehrender des Departments IT & Wirtschaftsinformatik auf ein brandaktuelles aus meiner Sicht besonders interessantes Thema mit widersprüchlicher Aussage und tiefer Erkenntnis eingehen: das Jevons-Paradoxon.

Technologischer Fortschritt führt zu geringerem Rohstoffverbrauch, oder? Nicht, wenn das Jevons-Paradoxon berücksichtigt wird! Dieses besagt nämlich, dass die Stiegerung der Effizienz bei der Nutzung eines Rohstoffs zu einem höheren Gesamtverbrauch dessen führen. Benannt ist es nach dem englischen Wirtschaftswissenschafter William Stanley Jevons, der Jahr 1865 feststellte, dass die verbesserte Effizienz von Dampfmaschinen nicht zu einem Rückgang des Kohleverbrauchs führte. Stattdessen wurde die Kohle in mehr Industriezweigen eingesetzt, was den Gesamtverbrauch erhöhte. Jevons schlussfolgerte daraus, dass England die Kohle schneller ausgehen würde als ohne technologische Weitereintwicklung, eben weil der Rohstoff effizienter eingesetzt wurde. Ein aktuelleres Beispiel wäre die Kraftstoffeffizienz von Flugzeugen. Sie hat sich in den letzten Jahren stark verbessert und dennoch steigt der Gesamtverbrauch an Kerosin weiter an. Dasselbe Prinzip ist auch beim Elektrizitätsbedarf zu beobachten. Die Geräte werden immer effizienter, und dennoch steigt der Gesamtstromverbrauch weiter an. Warum?

Wenn ein Rohstoff effizienter genutzt werden kann, sind damit in der Regel Preissenkungen verbunden und Konsument*innen können es sich leisten, ihn in einem größeren Ausmaß zu nutzen. Nehmen wir noch einmal unsere Flugzeuge als stark vereinfachtes Beispiel: Sie sind viel effizienter geworden, aber es könnte sein, dass eine Steigerung der Kerosineffizienz um 5 % den Verbrauch insgesamt nur um 2 % verringert. Die fehlenden 3 % lassen sich darauf zurückführen, dass Flugreisende es sich aufgrund der resultierten Preissenkungen leisten können, weiter oder öfter zu fliegen.

Der Rebound-Effekt

Die oben beschriebene Differenz zwischen den theoretischen Effizienzgewinnen und dem tatsächlichen Verbrauch eines Rohstoffs wird als „Rebound-Effekt“ bezeichnet. In unserem Beispiel beträgt der Rebound-Effekt 60 % (5-2/5). Wir haben eine Verringerung des Verbrauchs um 5 % erwartet, aber stattdessen nur 2 % erreicht. Das Jevons-Paradoxon gilt nur, wenn der Rebound-Effekt über 100 % liegt, d. h. wenn die Effizienzgewinne zu einem Gesamtanstieg des Verbrauchs führen.
Ein Rebound-Effekt zwischen 0 und 100 % ist der am häufigsten auftretende Effekt im Zusammenhang mit Effizienzsteigerungen beim Verbrauch bestimmter Rohstoffe. Das bedeutet also, dass der tatsächliche Verbrauch zwar gesenkt wird, aber eben nicht so stark wie erwartet. Ein negativer Rebound-Effekt ist ebenfalls möglich. Das bedeutet wiederum, dass die Einsparungen höher waren als erwartet.

Wann ist das der Fall?
Stellen Sie sich vor, Sie haben eine Waschmaschine gekauft, die 20 % effizienter ist als die alte. Sie merken bei der Nutzung, wie viel Energie sie tatsächlich verbraucht und Sie fangen an, Ihr Nutzungsverhalten anzupassen. Sie waschen also seltener oder bei niedrigeren Temperaturen und erzielen damit insgesamt sogar mehr als 20 % Ersparnis beim Energieverbrauch.

Das Jevons-Paradoxon und der Rebound-Effekt sind in vielen verschiedenen Bereichen zu finden, nicht nur beim Energieverbrauch. Er spielt etwa auch bei den Treibhausgasemissionen und sogar beim Wasserverbrauch eine Rolle.

Warum also einen Blogbeitrag über dieses Paradoxon schreiben?

Das Verständnis des Jevons-Paradoxons ermöglicht es uns, politische Entscheidungen besser zu ergründen. Auf europäischer Ebene werden beispielsweise viele Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz ergriffen.  Bei diesen Initiativen sollte man immer das Jevons-Paradoxon bedenken: Die Steigerung der Effizienz kann nämlich genau den gegenteiligen Effekt auf den Gesamtverbrauch haben. Der Verdacht liegt nahe, dass das Jevons-Paradoxon wohl in einer Vielzahl von europäischen Ländern besteht und nicht nur auf den Energiesektor begrenzt, sondern auch auf größere Wirtschaftsbereiche anwendbar ist. Das heißt natürlich nicht, dass man aufhören sollte, nach Effizienz zu streben, Effizienzgewinne aber alleine nicht der Weisheit letzter Schluss sein werden, wenn es um einen nachhaltigeren Umgang von Ressourcen in der Zukunft geht.

Wie kann das Jevons-Paradoxon berücksichtigt werden?

Eine geeignete und von Umweltökonomen häufig vorgeschlagene Maßnahme zur Senkung des höheren Verbrauchs ist die Einführung von Umweltsteuern. Dadurch würde die Nachfrage gesenkt und das Jevons-Paradoxon berücksichtigt werden. Die somit erzielten Steuereinnahmen könnten zur Reinvestition in weitere sinnvolle Maßnahmen verwendet werden. Auch zu bedenken ist, dass die Stärke des Rebound-Effekts davon abhängt, wie „reif“ ein Markt ist. In Industrieländern wird beispielsweise eine Steigerung der Kraftstoffeffizienz keinen allzu großen Rebound-Effekt bewirken, da dort ohnehin bereits sehr viel Kraftstoff verbraucht wird. Es wurde übrigens auch schon ein Zusammenhang zwischen dem Rebound-Effekt und dem Einkommen festgestellt: Je höher das Einkommen, desto schwächer der Rebound-Effekt. Und damit genug von Jevons-Paradoxon!

Danke für’s Lesen!