How to Bridge the Digital Divide for AI

Author: Markus Stoff

 

Wer Studierende schon einmal in ihrem natürlichen Habitat, der Lehrveranstaltung (LV), beobachtet hat, kennt das enorme kreative Potential, das hier freigesetzt werden kann. Überschreitet der Umfang oder die Komplexität einer Aufgabenstellung eine gewisse Schwelle, werden mit atemberaubender Geschwindigkeit Coping-Strategien entwickelt, die oft nur noch wenig mit der ursprünglichen didaktischen Intention gemein haben.

 

Aber das muss nicht zwingend schlecht sein. Das Verhalten kann auch als Indikator dafür genutzt werden, dass ein großer Teil des Gesamtaufwands nichts mit dem eigentlich Lehrziel zu tun hat. Dieses versteckte Feedback ließe sich entsprechend zur Verfeinerung und besseren Fokussierung der Aufgabenstellungen nutzen. Aber darum soll es hier nicht gehen.

 

Vielmehr soll es darum gehen, warum einige Studierende sehr schnell darin sind, Künstliche Intelligenz (KI) als Werkzeug für ihre Coping-Strategien zu nutzen, während andere selbst dann nicht auf die Idee kommen, wenn sie mit der Nase darauf gestoßen werden.

 

Der Grund dafür liegt im sogenannten Digital Divide. Unter Digital Divide versteht man sozial und/oder wirtschaftlich begründete Faktoren, die zu ungleichen Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Medien bzw. Technologien führen. Oder anders ausgedrückt: der Digital Divide repräsentiert (in unserem Fall) die Kluft zwischen denen, die KI können, und denen, die KI nicht einmal kennen.

 

Okay, okay – „nicht einmal kennen“ ist vielleicht ein wenig tiefgestapelt. Immerhin muss man die letzten beiden Jahre schon unter einem Stein gelebt haben, um von dem immer noch schwelenden Hype rund um KI nichts mitbekommen zu haben. Und wie wir alle, blieb auch die Wirtschaft davon nicht verschont: durch das Versprechen einer beinahe schon universellen Einsatzmöglichkeit von Large Language Models (LLMs), werden Unternehmen von der Angst getrieben, den Anschluss zu verpassen. Erinnerungen an den Boom der Informationstechnologie (IT), vor allem des Internets, werden wach. Entsprechend „händeringend“ wird auch nach gut ausgebildeten Fachkräften gesucht, um der Konkurrenz einen Schritt vorauszubleiben.

 

Doch nicht nur zur Implementierung von KI im Unternehmen werden Fachkräfte benötigt. Würde man eine Analogie zur traditionellen IT ziehen, könnte man sagen, dass nicht nur zum Betrieb der eigenen IT-Infrastruktur Personal notwendig sei, sondern auch zu deren Nutzung. So wird z.B. von den Fachabteilungen erwartet, dass sie ihre Anforderungen an die IT kommunizieren können – was wiederum ein gewisses Maß an Verständnis über die Möglichkeiten und Grenzen von IT voraussetzt.

 

Ganz ähnlich verhält es sich auch mit KI. Abseits von Prompt Engineers, Data Scientists  und Software-Entwickler*innen benötigt man auch in den einzelnen Fachabteilungen die Fähigkeit, einschätzen zu können, wann KI sich gewinnbringend einsetzen lässt – und wann man besser die Finger davon lassen sollte. Der Fachausdruck für diese Fähigkeit heißt: AI-Literacy. Sie stellt einen wichtigen Teilaspekt der digitalen Kompetenz dar.

 

Die Vermittlung digitaler Kompetenz muss daher – auch abseits von technischen Studien – in den Lehrzielen der (Fach-) Hochschulen Platz finden. Um digitale Kompetenz effektiv vermitteln zu können, ist es allerdings notwendig, den eingangs erwähnten Digital Divide zu überbrücken.

 

Okay, wow – Stopp! Was hat bitte das eine mit dem anderen zu tun? Nun, mehr als man denkt. Um das zu verstehen, müssen wir allerdings den Digital Divide erst einmal aufdröseln. Eine Suche im Internet lässt uns leider etwas ratlos zurück – wer auf die eine Definition gehofft hat, wird enttäuscht. Wir geben aber nicht auf und picken uns einfach raus, was uns am besten gefällt. In unserem Fall ist die Untergliederung des Digital Divide in vier Stufen sehr nützlich[1]:

 

  • Zugang
  • Nutzungsmotivation
  • Erfahrung / Anpassungsfähigkeit
  • Digitale Kompetenz

 

Jede Stufe lässt sich erst nach dem Überwinden der vorhergehenden Stufen erschließen. Digitale Kompetenz (und damit AI-Literacy) entsteht also erst durch das Überwinden der digitalen Kluft. Der geneigte Leser mag sich jetzt natürlich die Frage stellen: „Alles schön und gut – aber wie überwinden wir die Kluft?“.

 

Gute Frage! Am besten fangen wir mit der ersten Stufe – dem Zugang – an und arbeiten uns dann Schritt für Schritt nach oben bis zur digitalen Kompetenz.

 

Bei der ersten Stufe – dem Zugang – handelt es sich vor allem um einen wirtschaftlich/materiellen Faktor. Als solcher lässt er sich nicht mit didaktischen Mitteln lösen und muss klar im organisatorischen Bereich einer Hochschule verortet werden. Ziel ist es, den Studierenden alle notwendigen Zugänge – unter Einhaltung grundrechtlicher Rahmenbedingungen – zur Verfügung zu stellen.

 

Die gute Nachricht ist: viele Hochschulen arbeiten bereits im Verbund daran. Die schlechte Nachricht ist: wir sind noch nicht so weit. Ideal wäre eine bundesweite und bildungseinrichtungsübergreifende Lösung. Das ergäbe den besten Kosten-/Nutzeneffekt sowie die umfangreichsten Möglichkeiten. Man soll die Hoffnung zwar nicht aufgeben, aber hier müssten sich Bundes- und Landespolitik gut informieren und auf eine sinnvolle Lösung einigen. Als gelerntem Österreicher könnten einem hier Zweifel kommen.

 

Zusätzlich sehe ich – über die Schaffung materieller Zugangsmöglichkeiten hinaus – auch die Schaffung gewisser Grundkompetenzen in dieser Stufe verortet. Im Umgang mit LLMs wäre das z.B. die Vermittlung von Prompt Engineering-Grundlagen, ohne die sich aufbauende didaktische Maßnahmen zwar nur weniger effektiv, dafür aber auch mit höherem Frustrationspotential umsetzen ließen.

 

Um eine abgedroschene Metapher zu bemühen, kann man das Überwinden dieser Stufe mit: „Ich habe einen Hammer!“ zusammenfassen.

 

Die zweite Stufe – die Nutzungsmotivation – ist ein sozialer Faktor. Es geht dabei darum, dass unterschiedliche Gruppen, unterschiedliche Zugänge zu Technologie haben. Während die Studierenden in einem KI-spezifischem Studium mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit diese Stufe bereits kollektiv genommen haben, wird es in einem sozialwissenschaftlichen Studium eher keine gruppenintrinsische Motivationslage zur Beschäftigung mit dem Thema geben.

 

Aus didaktischer Sicht ist die Situation erfreulich einfach lösbar: es genügt, Aufgabenstellungen zu finden, die sich gut zur Lösung mit KI und deutlich weniger gut zur Lösung ohne KI eignen. Oder Aufgabenstellungen, bei denen man sich im inhaltlichen Rahmen der LV kritisch mit dem Output von LLMs auseinandersetzen muss. Durch erstere werden die Fähigkeiten zur Nutzung von KI-Werkzeugen geschult, durch letztere wird das kritische Denken gefördert – was neben dem Schaffen von Nutzungsmotivation auch bereits die digitale Kompetenz fördert. Zusätzlich wird der Fokus durch die notwendige inhaltliche Reflexion auf die fachlichen Inhalten der LV gelenkt.

 

Bei aller Begeisterung sollten diese Maßnahmen aber nicht zwanghaft in den Unterricht integriert, sondern vorwiegend dort eingesetzt werden, wo sie ihn auf möglichst natürliche Art unterstützen. Schließlich soll der Unterricht (und die Studierenden) davon profitieren und nicht darunter leiden.

 

Um bei der Hammer-Metapher zu bleiben, würde man ihn nach dieser Stufe zum Einschlagen von Nägeln verwenden.

 

Die dritte Stufe – die Erfahrung und Anpassungsfähigkeit – ist eine Frage der Häufigkeit und Vielfältigkeit der Nutzung. Verfolgen wir die Vorgehensweisen aus der zweiten Stufe laufend und dauerhaft durch das ganze Studium, schaffen wir Erfahrung – die Studierenden entwickeln Routine in der Anwendung von KI-Werkzeugen. Variieren wir die Anforderungen zusätzlich auch noch (z.B. indem wir nicht immer nur zur Text-Generierung, sondern auch zu anderen Formen von generativer KI motivieren), dann fördern wir die Anpassungsfähigkeit, was gerade in diesem sich schnell entwickelndem Bereich sehr vorteilhaft ist.

 

Wie sich bis hier bereits erkennen lässt, gibt es – bis auf die erste Stufe, in welcher die notwendigen Zugangsvoraussetzungen hergestellt werden – nicht verschiedene Maßnahmen für jede Stufe, sondern die dauerhafte Anwendung der gleichen Maßnahmen bewirkt das Überwinden der Folgestufe(n). Das dauerhafte Setzen von Motivationsreizen führt also zu dauerhafter Motivation und damit zum Entstehen von Erfahrung.

 

An dieser Stelle können wir bereits so extrem gut mit dem Hammer umgehen, dass jetzt jedes Problem ein bisschen wie ein Nagel aussieht. Um dieses etwas schiefe Weltbild wieder geradezurücken, müssen wir noch weiterklettern:

 

Nämlich auf Stufe vier – die Stufe der digitalen Kompetenz oder AI-Literacy. Wie bei der dritten Stufe, kommt es auch hier auf Wiederholung an. Mit dem Unterschied, dass es zum Erreichen dieser Stufe nicht egal ist, welche Maßnahmen wiederholt werden. AI-Literacy äußert sich nicht nur darin, wie effizient ich in der Anwendung und Nutzung von KI-Werkzeugen bin, sondern auch darin, deren Grenzen zu (er)kennen. Dazu ist es notwendig, die Ergebnisse regelmäßig zu hinterfragen und sich kritisch mit den Vor- und Nachteilen auseinanderzusetzen. Entsprechend muss das in den Aufgabenstellungen berücksichtigt werden.

 

Digitale Kompetenz bedeutet also nicht nur, dass Werkzeuge effizient verwendet werden können, sondern auch – und gerade – das Wissen darum, wofür und unter welchen Umständen diese Werkzeuge die richtige Wahl sind. Immerhin besteht das unternehmerische Risiko nicht nur darin, den Anschluss zu verpassen, sondern auch darin, neue (und teure!) Technologien falsch oder unnötig einzusetzen. Beides kann zum selben Ergebnis führen.

 

An dieser Stelle weiß ich also auch, wann der Hammer das falsche Werkzeug ist.

 

Fazit

 

Wir sehen also, dass die Minimierung des Digital Divide und damit das Schaffen gleichwertiger Ausgangsbedingungen für Bildungseinrichtungen sehr gut möglich ist. Wird dieses Potenzial ausgeschöpft, führt das zur bestmöglichen digitalen Kompetenz bzw. AI-Literacy der Absolvent*innen, die damit auch ideale Berufsaussichten haben, während die Wirtschaft durch kompetentes Personal und der damit einhergehenden Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit profitiert.

 

[1] Die Digital-Divide-Theorie (u.a. van Deursen & van Dijk, 2015; Drossel, Eickelmann & Vennemann, 2019)

 

This work by Markus Stoff is licensed under CC BY 4.0. To view a copy of this license, visit https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/